Der Deutsche Michel: Weltmeister im Sorgen haben?

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Eigentlich sollte wir den Tag der Einheit zum Anlass nehmen, unbeschwert zu feiern. Wir verhalten uns jedoch wie nach einer durchzechten Nacht. Katerstimmung auf allen Ebenen. Das Leben in der vereinten Bundesrepublik ist nach 28 Jahre jedoch kein Jammertal, das es zu überwinden gilt. (Für alle Nörgler: Ja wir haben Probleme und wenn es die geflickte Jahrzehnte alte Dorfstraße ist). Eine Bestandsaufnahme zum 3. Oktober 2018. Versuch einer Annäherung, von Hajo Guhl, Foto)

BU: Wenige Stunden vor der öffiziellen Eröffnung der Festmeile am Brandenburger Tor! Jede Gemeinde Deutschlands ist mit ihren gelben Ortschild rund um die Straße des 17. Juni 2018 während der Feiertage vertreten.

Was sagen die Zahlen?

Die Arbeitslosenquote in Brandenburg ist im September 2018 erstmals unter sechs auf 5,9 Prozent gesunken. Der Rückgang gegenüber dem Vorjahresmonat war erneut stärker als im Bundesdurchschnitt. Mit 44,804 Millionen Erwerbstätigen waren in der Bundesrepublik noch nie so viele Menschen beschäftigt. Erwerbslos waren im August 2018 rund 1,5 Millionen Personen, 165 000 weniger als ein Jahr zuvor. 

Der Rentner des Jahres 2018 hat eine um vier Jahre höhere Lebenserwartung, als der Pensionär des Jahres 1995. Die Lebenserwartung in Deutschland ist noch einmal angestiegen: Neugeborene Jungen 78 Jahre und 4 Monate, Mädchen sogar 83 Jahre und 2 Monate. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, Damit erhöhte sich die Lebenserwartung im Vergleich zum Zeitraum 2013/2015 noch einmal um etwa zwei Monate. 

Und: Die Fußball-EM kommt 2024 nach Deutschland. Der Anstoß erfolgt zwar erst in sechs Jahren. Aber man könnte meinen, wir leben das Sommermärchen des Jahres 2006 mit der Fußball-WM. Der Rausch ist allerdings vorbei. Die Deutschen scheinen schlecht gelaunt und depressiv und vor allem fremdenfeindlich.

Und das im 29. Jahr nach dem Fall der Mauer im Jahre 1989. Die Betonklötze und der Stacheldraht sind inzwischen länger fort als sie den antifaschistischen Schutzwall bildeten. Das Volk hatte sie damals fast im Kollektiv fortgeräumt.

Der Osten Deutschlands holt wirtschaftlich auf, steht im Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit, den die Bundesregierung vorgestellt hat. Fast 29 Jahre nach dem Fall der Mauer gebe es jedoch deutliche Unterschiede zwischen Ost und West – und die Menschen würden das vor allem in den neuen Bundesländern spüren.

  • In dem Bericht schreibt die Regierung, die Lebensverhältnisse im Osten hätten sich in den vergangenen 28 Jahren denen des Westens angenähert. Allerdings:

  • Der Osten liegt beim Lohnniveau und der Wirtschaftskraft weiter zurück.

  • Es fehlen Konzernzentralen großer Unternehmen.

  • Der ostdeutschen Wirtschaft mangelt es an Exportorientierung.

Positive Entwicklungen

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU) erinnerte: Bei der Arbeitslosenquote betrug die Differenz zum Westen Anfang der 2000er-Jahre noch mehr als zehn Prozentpunkte, 2017 nur noch 2,3 Prozentpunkte. Außerdem heißt es, Ostdeutschland sei vor allem stark bei der Erforschung von Schlüsseltechnologien. Nahezu die Hälfte aller Beschäftigten in Ostdeutschland seien Frauen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei im Osten deutlich einfacher möglich.

Hirte kritisierte, die ostdeutschen Bundesländer würden ausschließlich als Problemfall betrachtet. "Das ist ärgerlich, weil es den Alltag und die Lebenswirklichkeit der Menschen verzerrt widerspiegelt", sagte er. Doch schauen Sie sich den Stand der Deutschen Einheit 2017 selbst an.

Populisten machen Stimmung

Dennoch wird eine „Verbitterung vieler Ostdeutscher“ diagnostiziert. Die Bilder von Chemnitz scheinen das zu belegen. Die offen zur Schau gestellte Abkehr von Staat und Demokratie ist jedoch kein Markenzeichen der Menschen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg. Das jüngste Wahlergebnis in Schweden, die rechten Bewegungen und Populisten in Frankreich, Italien oder den Niederlanden belegen eines: Die Demokratie hat ein Problem.

Wer sind deren Anhänger?

Den typischen Rechten – in Deutschland die AfD-Wähler – scheint es nicht zu geben. Er lebt im deindustrialisierten Ruhrgebiet ebenso wie in der bayerischen Automobilregion um Ingolstadt. Im Osten Deutschland wohnt er eben in Chemnitz oder Dresden. Er ist eher männlich, zwischen 35 und 50 Jahre alt, hat mit der Realschule abgeschlossen und verdient gut durchschnittlich. Er ist wohl eher der „Wutbürger“, wie ihn einmal ein Boulevardblatt titulierte und auf seinen Besitzstand bedacht. Da hilft auch die Phrase des „besorgten Bürger“ nicht. Böse Zungen definieren ihn als Angstbeißer.

Selbstgemachtes Dilemma

„Merkel muss weg“ Unter diesem Slogan haben sich AfD-Anhänger, Pegida-Marschierer und all die anderen Rechten vereint. Für den Politik-Engagierten stellt sich tatsächlich die Frage: Ist es sinnvoll, dass eine Kanzler überhaupt solange an der Spitze stehen sollte? Angelas Ziehvater Helmut Kohl brachte es auf 16 Jahre Kanzlerschaft. „Sein Mädchen“ ist seit dem Jahre 2005 im Amt. Andere Länder kennen Grenzen wie Amtszeiten über zwei Legislaturperioden.

Die Aufgabe einer GroKo: Eine große Koalition ist eine Zweckehe von großen (Volks)Parteien, um große Probleme zu stemmen. Was gegenwärtig in der dritten Auflage der Ehe zwischen Union und Sozialdemokraten wahrgenommen wird, ist ein Hickhack und Geschacher in der Tagespolitik. Oberster Repräsentant dabei ist zur Zeit Heimatminister Horst Seehofer. Dessen Beweggründe: In seinem Stammland Bayern bricht die Herrschaft der CSU zusammen. Der größte Profiteur: Die AfD. Fast nur eine Randbemerkung: Ministerpräsident Seehofer hat jahrelang die wichtige Nord-Südtrasse für eine kohlefreie, saubere Stromversorgung boykottiert.

Verräterische Sprache der Etablierten

Es ist also nicht nur der verwirrte Bürger, der sich gegen die etablierten Parteien stemmt. Diese verraten sich in ihrer Sprache, dass etwas schief läuft „in dieser unserer Republik“! Da heisst es scheinbar verständnisvoll „Wir sind ganz nah am Bürger!“ Die Formulierung hat es in sich! Sie gesteht nämlich zu, dass die Handelnden in Politik und Verwaltung von ihrer Aufgabe schon (weit) entfernt haben. Sonst müssten sie nicht wieder an ihn heranrücken! Und: Sie sind Bürger, haben als Politiker den Auftrag ihrer Mitmenschen für sie zu arbeiten. Gleiches gilt für Beamte und Angestellte in den Institutionen des Staates. Dafür werden sie bezahlt. Was sie nicht sind: Eine eigene Kaste mit Privilegien. Also von wegen „nah am Bürger“. Macht euren Job. Und redet deutsch! Macht klare Aussagen! Bringt es auf den Punkt! Bürokraten-Sprech mit den Schachtelsätzen und den vielen Hauptwörtern versteht keiner!

Der maulige Michel ist nicht allein

Ist der Deutsche nun ein fremdenfeindlicher Spießer? Nur auf seinen Vorteil bedacht? Eher nicht. Er ist genauso ein Spießer wie sein französicher Nachbar. Oder ein Bewohner der britischen Inseln. Niederländer. Eben ein typischer Europäer.

Menschen in Deutschland bewerten Multi-Kulti positiver als es insgesamt wahrgenommen wird. Die Einschränkung: vor allem, wo kulturelle Vielfalt im Alltag erlebt wird. So der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) , der zum zweiten Mal fast 9.300 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zum Stand der Integration befragt hat. Offensichtlich sind wir lebensfroher und vor allem toleranter als wir uns selbst wahrnehmen oder von den Medien dargestellt werden.

Mißtrauische Generation Mitte

Aber wie sieht es nun mit der Generation der 35- bis 59-jährigen aus? Sie sind schließlich die Träger einer Gesellschaft Eine Umfrage der deutschen Versicherer stellt fest: Die "Generation Mitte" verliert das Vertrauen in die Politik. Mit heftigen Widersprüchen .

Die „Generation Mitte“ fürchtet nicht um ihre Arbeit oder ihren sozialen Status. Was die meisten bekümmert, ist stattdessen der schwindende Zusammenhalt zwischen den Menschen. Materialistischer, egoistischer, intoleranter – so nehmen die Leistungsträger die deutsche Gesellschaft wahr. Das geht zumindest aus einer Umfrage des Allensbach-Instituts hervor. Auftraggeber ist der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

Einer Mehrheit der 30- bis 59-Jährigen geht es demnach besser als vor fünf Jahren. Nur noch 27 Prozent haben jedoch Vertrauen in die politische Stabilität des Landes. 2015 behauptete dies noch knapp jeder Zweite. „Die Stimmung ist trotz der brummenden Wirtschaft nicht gut“, sagte Verbandspräsident Wolfgang Weiler. Damit sei eine Jahrzehnte alte Regel außer Kraft gesetzt.

Hintergrund: Deutschland ist Land der Flüchtlinge und Wanderer

Die USA blieben jedoch während des gesamten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts das Hauptziel deutscher Emigranten. In der Periode von 1850 bis 1890 stellten die Deutschen sogar die größte nationale Einwanderergruppe. Von den 5,9 Millionen Menschen, die in der Zeit von 1820 bis 1928 nach Übersee gingen, wanderten 5,3 Millionen, d. h. fast neun Zehntel, in die USA, gegenüber nur 200.000 nach Brasilien, 145.000 nach Kanada (ab 1851) und 120.000 nach Argentinien (ab 1861). Noch geringer sind die Zahlen für Australien und Südafrika mit jeweils weniger als 50.000 Personen; und in die deutschen Kolonien kamen bis 1913 sogar nur rund 24.000 Menschen aus dem Mutterland.

Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg verloren rund zwölf Millionen Deutsche aus Preußen, Pommern und Schlesien und Deutschstämmige aus Böhmen und dem Balkan ihre Heimat. Sie kamen in ein zerbombtes Land, das der Kalte Krieg auch noch teilte.

In den Jahren zwischen 1949 und 1961 flohen noch einmal rund 3,8 Millionen Menschen aus der DDR in den Westen. Für viele war es die zweite Flucht.

Flucht nach dem Mauerfall

Mit dem Fall der Berliner Mauer setzte wieder eine Ost-West-Wanderung ein. In den ersten zwei Jahren nach Maueröffnung verließen 800.000 Personen die DDR. Vor allem Jüngere (Frauen) suchten vor allem qualifizierte Arbeit in den alten Bundesländern. Anfang der 1990er-Jahre habe es außerdem einen "dramatischen Rückgang" der Kinderzahl gegeben. Die Folge: Die strukturschwachen Regionen sind heute stark überaltert. Viele Handwerker zum Beispiel in Brandenburg finden keine Nachfolger.

Wer schafft unseren Wohlstand?

Im Jahr 2016 verlegten allein 281.000 Bundesbürger ihren Wohnsitz ins Ausland. Zum Vergleich: Im Jahr 1991 wanderten rund 99.000 Deutsche ab, im Durchschnitt etwa 140.000 pro Jahr. Statistisch betrachtet ist Deutschland jedoch ein Land für Einwanderer. Laut Statistischem Bundesamt wanderten im Jahr 2015 ca. 1,14 Millionen mehr Menschen nach Deutschland ein als umgekehrt auswanderten. Die Zahl der Zuwanderer lag im Jahr 2015 bei rund 2,14 Millionen, darunter waren etwa 2,02 Millionen Ausländer. Die Zuwanderer nach Deutschland kamen vor allem aus Syrien, gefolgt von Rumänien und Polen. Kurz gesagt: Unser Wohlstand wird von den Menschen geschaffen, die in Deutschland leben wollen.

 

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