Ukraine-Betrachtung aus der SPD-Zentrale
Aus dem Willy-Brandt-Haus flatterte am Freitag, 11. März 2022 eine Argumentationshilfe zum Thema Ukraine in die elektronischen Briefkästen vielen Sozialdemokratischen Mandatsträger. Die Lektüre lohnt sich:
Wladimir Putin hat sich entschieden, als Kriegsverbrecher in die Geschichte einzugehen. Sein Angriff auf die Ukraine ist beispiellos in der Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg und durch nichts und niemanden zu rechtfertigen. Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. Es war richtig, dass Deutschland in Zusammenarbeit mit den europäischen und transatlantischen Partnern bis zuletzt versucht hat, eine diplomatische Lösung zu finden.
Einen Krieg verhindern zu wollen, ist niemals naiv. Putin jedoch hat die ausgestreckte Hand weggeschlagen und den Konflikt damit auf ein neues Level gehoben.Es ist gut, dass die Bundesregierung und unsere internationalen Partner aufgrund ihrer präzisen Vorbereitung nach Putins Überfall auf die Ukraine schnell gehandelt haben. Die Sanktionen treffen Putin bereits jetzt hart. Dieser Krieg wird eine Katastrophe für die russische Führung und die mächtigen Oligarchen in ihrem Umfeld. In seiner Regierungserklärung hat Bundeskanzler Olaf Scholz notwendig gewordene Veränderungen unserer deutschen Sicherheitspolitik angekündigt.
Klar ist auch weiterhin: Eine stabile Friedensordnung in Europa wird nicht gegen, sondern nur mit Russland möglich sein. Auf absehbare Zeit gefährdet Putin diese gemeinsame Friedensordnung aber. Und dieser neuen Situation stellen wir uns: entschlossen, mit festen Prinzipien und einem unverstellte Blick auf die Realität
1. Putin vom Kriegskurs abbringen
Gemeinsam mit der Europäischen Union hat Deutschland sehr gezielte Sanktionen gegen Russland auf den Weg gebracht. Sie sind mit unseren internationalen Partnern abgestimmt und zielen auf die Bereiche Finanzen, Transport und Energie.
Im Fokus ist nicht die russische Bevölkerung, im Fokus sind die Oligarchen, die Unterstützer-Clique um Putin. Hier setzen die Sanktionen an: Diese Gruppe verliert ihren privilegierten Zugang zur Europäischen Union.
- Ein wichtiges Mittel des Sanktionskatalogs ist die Einschränkung der Finanzflüsse: 70 Prozent des russischen Bankenmarktes und wichtige staatliche Unternehmen – auch im Verteidigungsbereich – werden von den wichtigsten Kapitalmärkten abgeschnitten.
- Zusätzlich schließen wir wichtige russische Banken vom Banken-Kommunikationsnetz SWIFT aus. Transaktionen der russischen Zentralbank werden untersagt. Damit wird die Nutzung eines großen Teils der Währungsreserven Russlands zur Stabilisierung des Rubel-Wechselkurses und zur Stützung von in Schieflage geratenen Banken und Unternehmen verhindert.
- Energiesektor: Es werden insbesondere Exportverbote verhängt, die es Russland unmöglich machen, seine Ölraffinerien und die Gasförderung zu modernisieren.
- Transportsektor: Der Verkauf von Flugzeugen und Ausrüstung an russische Fluggesellschaften wird verboten.
- Industriesektor: Der Zugang Russlands zu wichtigen Technologien wie Halbleitern oder modernster Software wird beschränkt.
- Flugverbot: Zusammen mit anderen europäischen Ländern hat Deutschland seinen Luftraum zunächst für drei Monate für russische Flugzeuge gesperrt.
Alle Sanktionen, die helfen können, Putin von seinem Kriegstreiben abzuhalten, sind möglich. Darum haben sich Olaf Scholz und die Bundesregierung weitere Schritte vorbehalten.
Die Sanktionen treffen Russland bereits jetzt hart. Das Märchen von der „Sonderaktion in der Ukraine“, wie Putin seinen Angriffskrieg tituliert, verliert auch in der russischen Bevölkerung an Glaubwürdigkeit. Wir hören von ersten Oligarchen, die sich gegen den Krieg positionieren. Künstler, Intellektuelle und Journalisten widersprechen Putin, tausende Menschen demonstrieren gegen seinen Krieg, obwohl ihnen dafür Verhaftung droht. Der unglaubliche Mut dieser Menschen verdient unsere absolute Hochachtung.
2. Waffenlieferungen an die Ukraine
Die SPD ist eine Partei des Friedens und hat sich immer für Abrüstung und gegen Gewalt positioniert. Diese Haltung ist auch heute noch so richtig und vernünftig wie eh und je. Niemals würde die Sozialdemokratie eine Spirale der Gewalt befürworten. Aus guten Gründen ist es unsere feste Überzeugung, dass man in Krisengebiete keine Waffen liefern sollte. Aber in diesem Fall ist die Lage komplexer.
Mit einem völkerrechtswidrigen Angriff wurde ein souveräner Staat brutal überfallen. Putin verweigert sich dem diplomatischen Weg, seine Forderungen sind inakzeptabel. Die Unterstützung der Ukraine auch mit Defensivwaffen ist daher eine notwendige Konsequenz. Deshalb liefert Deutschland der Ukraine Waffen zur Verteidigung. Das macht uns keine Freude.
Aber auf Putins Aggression konnte es unseres Erachtens nach keine geeignetere Antwort geben, ohne die Risiken für Leben und Gesundheit der ukrainischen Zivilbevölkerung noch unkalkulierbarer werden zu lassen.
Zur Unterstützung gegen die Angriffe der russischen Armee stellt die Bundesregierung Panzerabwehrwaffen und Boden-Luft-Raketen aus Bundeswehr-Beständen zur Verfügung. Auch wurde die Erlaubnis an andere Länder erteilt, Waffen aus deutscher Produktion an die Ukraine zu liefern.
3. Verhindern, dass Krieg auf andere Länder in Europa übergreift
Ohne Wenn und Aber stehen wir zu unserer Bündnispflicht in der NATO. Wir haben deshalb die Unterstützung für die NATO-Partner bereits ausgeweitet:
- In Litauen, wo wir den Einsatzverband der NATO führen, haben wir unsere Truppen aufgestockt.
- Unseren Einsatz beim Air Policing in Rumänien haben wir verlängert und ausgeweitet.
- Wir wollen uns am Aufbau einer neuen NATO-Einheit in der Slowakei beteiligen.
- Unsere Marine hilft mit zusätzlichen Schiffen bei der Sicherung von Nord- und Ostsee und im Mittelmeer.
- Und wir sind bereit, uns mit Luftabwehrraketen auch an der Verteidigung des Luftraums unserer Alliierten in Osteuropa zu beteiligen.
- Damit sich der Krieg nicht auf NATO-Gebiet ausweitet und die NATO zur Konfliktpartei wird, lehnen wir im Einvernehmen mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern die Einrichtung einer Flugverbotszone ab. Vor diesem Hintergrund haben wir uns auch gegen die Auslieferung von Kampfflugzeugen durch die NATO ausgesprochen.
4. Investitionen in die Sicherheit unseres Landes
Die Zeitenwende durch Putins Kriegserklärung fordert unsere Fähigkeit heraus, den Schutz unserer Demokratie vor äußerer Bedrohung zu stärken. Das ist nicht nur, aber in besonderer Weise Aufgabe der Bundeswehr. Sie ist unsere Parlamentsarmee, die im Verbund mit europäischen Partnern und innerhalb der NATO für Sicherheit und Freiheit sorgt. Damit die Bundeswehr den neuen Herausforderungen gewachsen ist, muss sie leistungsfähig, hochmodern und fortschrittlich aufgestellt sein.
Konkret: Wir brauchen Fahrzeuge, die fahren, Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen können und Soldatinnen und Soldaten, die optimal ausgerüstet sind für ihre Aufgaben. Deshalb werden wir ein Sondervermögen mit 100 Milliarden Euro auf den Weg bringen, um notwendige Investitionen langfristig abzusichern.
Zudem zeigt uns die aktuelle Bedrohungslage, dass wir gezwungen sind, langfristig mehr in unsere äußere Sicherheit zu investieren. So ist angekündigt, in den kommenden Jahren unter Einbeziehung des Sondervermögens mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung zu investieren.
Die Ertüchtigung unserer Bundeswehr soll gemeinsam mit unseren europäischen Partnern erfolgen. Aber auch innerhalb der NATO muss Deutschland seine Aufgaben zu jederzeit erfüllen können.
5. Wir glauben an die Kraft der Diplomatie
Bei allen weitreichenden Schritten, die Putins Kriegsführung gegen die Ukraine erforderlich gemacht hat: Wir glauben an die Kraft der Diplomatie. Gerade jetzt braucht es ernste Bemühungen, um echte Friedensverhandlungen zu erreichen. Wir wollen, dass auf allen diplomatischen Kanälen versucht wird, diesen Krieg zu beenden. Deutschland ist immer bereit, diesen Dialog zu führen.
Diese Bereitschaft braucht es aber auch auf russischer Seite. In Anbetracht der immer extremeren Kriegsrhetorik von Putin und seiner Staatspropaganda ist eine Bereitschaft zum Dialog einstweilen nicht zu erkennen. Dennoch halten wir unsere Gesprächskanäle offen. Denn Russland ist mehr als nur Putin und vor allem wird es ein Russland nach Putin geben, mit dem wir in Frieden und Freundschaft Beziehungen pflegen wollen.
Olaf Scholz hat mit seiner Regierungserklärung die richtigen Worte gefunden und die richtigen Taten genannt: Wir dürfen die Ukraine nicht alleine lassen, wir stehen an der Seite der Menschen dort. Aber auch der Binnenblick zeigt, dass wir unser Verständnis von Deutschland in dieser veränderten Welt, in diesem veränderten Europa neu justieren müssen. Olaf Scholz hat dafür die notwendigen ersten Schritte skizziert.