Rettet Atomstrom die Republik?

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Die Debatte über die Atomkraft ist in diesen Krisenzeiten wieder voll entbrannt. Pauschal suggerieren einige, dass der Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke bzw. eine Laufzeitverlängerung die Lösung sein könnten. Fakten spielen dabei kaum Rolle. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Matthias Miersch und Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz hat mit Kollegen eben diese Fakten zusammen getragen. Um es vorweg zu nehmen! Atomstrom rettet nicht über die Krise. Lesen Sie selbst:

Atomausstieg und längere Laufzeiten

Die Bundesministerien Wirtschaft und Umwelt (BMWK und BMUV) haben bereits kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine mit den Kraftwerksbetreibern geprüft, ob die noch im Betrieb befindlichen Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 weiter betrieben werden sollen bzw. können.

Das Ergebnis war deutlich: Dem Nutzen längerer AKW-Laufzeiten stehen sehr hohe gesamtgesellschaftlich zu tragende Kosten und erhebliche Risiken gegenüber. Hinzu kommen Hemmnisse in Bezug auf die Ziele der Energiewende: Je länger an Atomenergie festgehalten wird, desto langsamer funktioniert die Umstellung auf Erneuerbare Energien.

Helfen die AKW über den Winter 2022/23?

Bei der Produktion decken die drei AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 mit insgesamt 4300 Megawatt Leistung im Durchschnitt rund 30 TWh pro Jahr ab. Dies entspricht rund fünf Prozent der deutschen Stromproduktion.

Bei einem Gasmangel liegen die Herausforderungen in der Industrie und der Wärmebereitstellung – nicht im Stromsektor. Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke ersetzen höchstens ein Prozent des Erdgasbedarfs (Energy Brainpool, 2022).

In einem ersten (am 14. Juli 2022 veröffentlichten) Stresstest hatten die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber von März bis Mai 2022 im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz eine Sonderanalyse für den Winter 2022/2023 durchgeführt.

Folgen des Stopp von Gaslieferungen

Bereits diese Berechnungen basieren auf scharfen Annahmen in Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine: Trotz angenommener vollständig ausfallender Gaslieferungen aus Russland sowie ausfallender Atomkraftwerke in Frankreich kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass ein sicherer Betrieb des Elektrizitätsversorgungsnetzes im Winter 2022/23 nach Abschaltung der drei verbliebenen Atomkraftwerke zum Jahresende gewährleistet ist.

Ein zweiter Stresstest prüft die Versorgungslage nun unter noch schärferen Bedingungen. Dabei wird vor allem berücksichtigt, dass noch mehr Atommeiler in Frankreich aufgrund von Sicherheitsbedenken vom Netz müssen.

Sparen ist sinnvoller

Selbst wenn das Ergebnis eine Stromlücke offenbare, gilt es zu prüfen, wie diese sinnvollerweise zu schließen ist. Neben dem massiven und beschleunigten Ausbau Erneuerbarer Energien kann dies etwa auch durch Einsparungen erreicht werden.

Gaskraftwerke zur Stromerzeugung sind sinnvoller durch Kohlekraftwerke zu ersetzen, da diese – anders als AKW – besser hoch- und heruntergefahren werden können, wenngleich auch sie sich hierfür schlechter eignen als Gaskraftwerke.

Aufgrund der fehlenden Flexibilität von AKW kann es in Stunden mit hoher Einspeisung (viel

Wind & Sonne) zur Abriegelung von Erneuerbaren Energien kommen. Atomstrom (und auch

Kohlestrom) verdrängt somit Erneuerbare Energien aus dem Strommix.

Sicherheitsprüfungen notwendig

Nach internationalen Sicherheitsstandards für AKW sind alle zehn Jahre Sicherheitsprüfungen (PSÜ) erforderlich. Diese hätten für die drei AKW im normalen Rhythmus 2019 vorgelegt werden müssen, da die letzte 2009 stattfand. Diese Prüfung war 2019 wegen der endgültigen Abschaltung spätestens Ende 2022 ausnahmsweise nicht erforderlich. Bei einem Weiterbetrieb wäre eine Sicherheitsprüfung zwingend.

PSÜ sind ein mehrjähriger Prozess, der in der Folge erhebliche Investitionen in die Sicherheitstechnik nach sich zieht. Ausfallzeiten sind nicht auszuschließen.

Staat soll Risiko übernehmen

Die Anlageninhaber, also die Stromkonzerne, wollen die Sicherheitsrisiken bei einer Laufzeitverlängerung nicht tragen. Für den Fall, dass AKW wegen einer akuten Notfallvorsorge weiterbetrieben werden sollen, muss der Staat aus Sicht der Betreiber die rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken übernehmen – damit lägen alle Risiken und Kosten beim Staat und damit bei der Allgemeinheit.

Atomkraftwerke versagen bei Dürre

Ein Blick nach Frankreich zeigt: AKW garantieren keinesfalls Versorgungssicherheit. Die Hälfte der derzeit 56 Atomkraftwerke steht aktuell nicht zur Verfügung. Gründe sind Korrosionen und Rissbildung in den Reaktoren sowie Kühlwassermangel wegen Trockenheit. AKW sind auf eine niedrige Flusstemperaturen und einen Mindestpegelstand angewiesen, was bereits in früheren Jahren und auch in diesem Jahr erneut zum Ausfall von AKW geführt hat.

AKW liefern keine zusätzliche Energie

Ein längerer Betrieb über den 31.12.2022 hinaus könnte allenfalls für etwa 80 Tage durch

einen sogenannten Streckbetrieb ermöglicht werden. Das bedeutet, die Atomkraftwerke würden dann in den kommenden Monaten weniger Strom produzieren - der dann anderweitig ersetzt werden müsste - und die Brennelemente langsamer „abgebrannt“, um über den 31.12.2022 hinaus im 1. Quartal 2023 noch Strom produzieren zu können. Dies würde den Betriebszyklus des Reaktorkerns verlängern. Insgesamt würde aber zwischen heute und Ende März 2023 kaum mehr Strom produziert werden.

Neue Brennstäbe fehlen

Für einen generellen Weiterbetrieb der AKW bedürfte es neuer Brennstäbe. Derzeit gibt es hierzu keine Lieferverträge mehr. Uran kommt in der EU zu einem wesentlichen Teil aus Russland/Kasachstan bzw. wird in Russland aufbereitet. Aber: Wir wollen ja gerade Abhängigkeiten von Russland reduzieren.

Eine Beschaffung neuer Brennstäbe ist kurzfristig nicht möglich. Der Betreiber des AKW Emsland, RWE, schätzt den Zeitraum für die Beschaffung auf zwölf bis 24 Monate ein und weist darauf hin, dass neue Brennelemente für jede Anlage individuell hergestellt werden müssen.

Wiedereinstieg durch die Hintertür

Eine Laufzeitverlängerung würde also lange Planungshorizonte bedeuten und Atomkraft längerfristig als Energieform zurückbringen. Der gesellschaftliche Konsens zum Atomausstieg

würde untergraben. Der Umstieg auf Erneuerbare Energien würde über den reinen Atomstromanteil hinaus verschleppt; die Investitionen zugunsten Erneuerbarer Energien entsprechend verringert.

Endlagerung von Atommüll bleibt ungelöst

Die Frage der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle ist nach wie vor nicht beantwortet. In Deutschland wurden zwar Rechtsgrundlagen für ein Endlager geschaffen und ein Verfahren zur Endlagersuche begonnen. Dieses befindet sich allerdings noch in einem sehr frühen Stadium. Mit der Inbetriebnahme eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle ist erst frühestens Mitte des Jahrhunderts zu rechnen. Durch einen Weiterbetrieb mit neuen Brennstäben wird die Verantwortung zulasten der Allgemeinheit und künftiger Generationen noch größer.

Atomenergie ist die teuerste Energiegewinnung

Häufig werden wesentliche Anteile von Kosten der Atomenergienutzung, wie etwa der Umgang mit Atommüll, Endlager und Versicherungsleistungen nicht eingerechnet. Dies führt dann zu verfälschten Kostenbetrachtungen. Während in Deutschland jeder PKW eine eigene gesetzliche Pflichtversicherung hat, sind AKW im Pool über die Betreiber versichert und mit einem Höchstbetrag gesetzlich gedeckelt. Denn die Versicherung eines jeden AKW wäre wirtschaftlich kaum darstellbar. Die Endlagerkosten werden ebenfalls zu einem großen Teil durch die Allgemeinheit und nachfolgende Generationen getragen. (Redaktion: gu)

 

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